Insekten in aller Munde
Veganismus und Vegetarismus sind bereits über die Schwelle des Mainstreams getreten. Doch die wirklich innovativen Ernährungstrends warten auf ihren Startschuss, die Entomophagie ist eine davon. Was dahintersteckt, erklärt Lara Kröss.
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Die Larve des gelben Mehlkäfers (umgangssprachlich Mehlwurm). Foto: Privat
Im globalen Durchschnitt benötigen wir 15.400 Liter Wasser, 27 bis 49m2 Nutzfläche und zwischen 3,9 und 9,4 Kilogramm Futter, um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren. Dabei werden 22 Kilogramm Treibhausgase ausgestoßen. Zu betonen ist, es handelt sich hierbei um nur ein Kilogramm Rindfleisch. Im Jahr 2022 wurden pro Kopf 52 Kilogramm Fleisch konsumiert und das lediglich in Deutschland.
All das ist nicht nachhaltig. Regenwälder werden gerodet, trinkbares Wasser wird Tieren gegeben, die nur wenige Jahre leben und Nahrung, die eine Vielzahl Menschen ernähren könnte, wird an Tiere verfüttert.
Aber es gibt eine Alternative. Eine, die 15.000 Mal weniger Wasser verbraucht, 12 Mal weniger Nutzfläche beansprucht und viermal weniger Futter benötigt. Das all entscheidende: sie stößt das Hundertfache weniger an Treibhausgasen aus.
Diese Alternative nennt sich Entomophagie. Es ist eine Ernährungsform, so wie Veganismus. Bei der Entomophagie werden Insekten in den persönlichen Speiseplan aufgenommen. In vielen Teilen der Welt, wie Asien, Afrika und Südamerika ist es nichts Neues Insekten zu verzehren. Doch in westlich geprägten Kulturkreisen wird diese neue Form der Ernährung mit Skepsis aufgenommen, denn Fleisch hat eine lange Tradition und Insekten werden grundsätzlich als Schädlinge und Ungeziefer betrachtet. Der Ekel ist das größte Hindernis für Insekten als Lebensmittel, er führt dazu, dass den Fakten und offensichtlichen Vorteilen keine Beachtung geschenkt wird und dieses „seltsame Neue“ aggressiv abgelehnt wird.
„Wir essen lieber Schweinsbraten statt Insekten- oder Maden Müsli und wenn ihr das wollt liebe Grüne, dann könnt ihr das Zeug selber fressen…“.
So äußerte sich der berühmteste Kritiker alternativer Ernährungsformen Markus Söder, zur Genehmigung des Buffalowurms als Nahrungsmittel in der EU. Seit 2018 werden Insektenarten auf ihre Lebensmittelsicherheit geprüft und schließlich durch die „Novelfood“ Verordnung zugelassen oder abgelehnt. Bisher (Stand: April 2023) sind die Larve des gelben Mehlkäfers, die europäische Wandheuschrecke, die Hausgrille und der Buffalowurm, auch Larve des Getreideschimmelkäfers genannt, für den europäischen Markt genehmigt.
In der Not frisst der Teufel Fliegen
Eine freie Marktwirtschaft setzt Angebotsvielfalt voraus. Die Nachfrage allein ist Daseinsberechtigung für Insekten als Nahrungsmittel. Niemand wird zum Verzehr von Insekten genötigt, auch nicht Herr Söder. Genuss ist ein valides Argument, das für beide Seiten gilt. Denn ja: es gibt Menschen, denen Insekten schmecken. Sie sind vielseitig einsetzbar; zu Mehl verarbeitet können sie Pasta oder Brot beigemischt werden, karamellisiert sind sie perfekt als Müsli und frittiert passen sie in eine Suppe oder in Pastasauce.
Aber der Mensch isst nicht nur aus Genuss, sondern auch für die Energiezufuhr und die Nährstoffaufnahme. Hinsichtlich ihrer Nährstoffe können Insekten mit Fleisch mithalten. Besonders für Sportler sind sie eine gute Alternative, da sie reich an Proteinen sind und viele ungesättigte Fettsäuren enthalten.
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Nährstoffvergleich von Rindfleisch und Mehlwürmern. Je 100g Fleisch.
Sechsbeinig in die Zukunft
Die letzten Jahre brachten einen Wandel in der deutschen Esskultur hervor; durch Aktivismus, Ernährungstrends und medialer Aufmerksamkeit haben viele Menschen ein bewussteres Verhältnis zu ihrer eigenen Ernährung entwickelt. Besonders in Bezug auf Fleisch gibt es mittlerweile viele kritische Stimmen, die einen geringeren Fleischkonsum fordern oder grundsätzlich Fleisch ablehnen. Der Durchschnittsdeutsche hat seinen Konsum in den letzten Jahren bereits reduziert, 2018 wurden pro Kopf 61 Kilogramm Fleisch konsumiert, 2022 waren es 52 Kilogramm. Experten empfehlen allerdings, den Konsum auf maximal 500 Gramm pro Woche (abhängig vom eigenen Lebensstil) zu beschränken. Im Jahr gerechnet dürfte man also höchstens 26 Kilogramm Fleisch zu sich nehmen.
Wie problematisch der hohe Fleischkonsum in westlich geprägten Kulturkreisen ist, lässt sich an der steigenden Anzahl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkennen. Diese Krankheiten werden durch einen ungesunden Lebensstil ausgelöst, dabei spielt neben Sport, den Lebensumständen und Vorerkrankungen, auch die Ernährung eine entscheidende Rolle. Ein hoher Fleischkonsum ist nicht die einzige Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine hohe Zufuhr an Zucker oder gesättigten Fetten kann auch ursächlich sein.
Sie sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Gängige Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Herzinfarkt, eine Folgeerkrankung davon kann Diabetes-Typ 2 oder Gicht sein. Hierbei sind Insekten doppelt vorteilhaft, wenn durch sie weniger Fleisch verzehrt wird, erkranken weniger Menschen und gleichzeitig können sich ihre Nährstoffe positiv auf bereits erkrankte Personen auswirken. Gegenwärtige Forschungsarbeiten beschäftigen sich damit, Diabetes-Typ 2 Patienten mit Insekten zu therapieren, da ihr hoher Ballaststoffgehalt den Blutzuckerspiegel stabilisieren könnte.
Wie vorhin erwähnt ist die Produktion von Insekten viel effizienter und nachhaltiger als die von herkömmlichem Fleisch. Aktuell verursacht die Tierhaltung 20 % der weltweit ausgestoßenen Triebhausgase, darunter fällt die Waldrodung für Nutzfläche, der Transport, wobei dieser einen relativ kleinen Teil ausmacht, und die Ausschüttung von Methan der Tiere selbst. Methangas ist besonders schädlich für die Ozonschicht, doch im Gegensatz zu CO₂ baut es sich mit der Zeit ab. Das heißt, wenn weniger Methan ausgestoßen wird, dann verringert sich die Belastung für die Umwelt und dies ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Erderwärmung.
Das schlagende Argument der Ethik
Die Zucht von Insekten ist grundsätzlich weniger problematisch als die von Rindern. Mehlwürmer zum Beispiel fühlen sich in feuchten dunklen Orten, wo sie auf engen Raum mit ihren Artgenossen leben, am wohlsten. Massentierhaltung wäre hier niemals ein negativer Begriff, denn es entspricht der Natur der Tiere.
Aber ein Mehlwurm ist genauso ein Lebewesen wie ein Rind. Wer es mit dem Gewissen nicht vereinbaren kann, dass ein Tier für den eigenen Hunger leidet oder stirbt, muss vegan leben.
Viele Vorteile der insektenbasierten Ernährung sind bei einer veganen Ernährung noch stärker ausgeprägt, beispielsweise diese der Umwelt. Denn sie gründen im Gedanken den Konsum von tierischen Produkten einzuschränken und bei einer veganen Ernährung wird auf jegliche tierischen Produkte verzichtet.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten
Der Mensch und unsere Gesellschaft profitieren von einer vielfältigen und ausgewogenen Ernährung. Aber wenn es ums Essen geht, hat jeder seine Präferenzen. Geschmack kann nicht erzwungen werden. Auf sozialen Medien, in der Stadt und von Lieferdiensten werden wir mit Reizen überflutet, doch manchmal verleitet das gute Gefühl, der fettige Geschmack oder der intensive Duft. Nur weil sich etwas gut anfühlt, heißt nicht, dass es auch gut ist. Denn alles kann zu einer Droge werden, wenn man nur genug davon konsumiert.
Neugierig?
Wer sich ein eigenes Bild von der Thematik machen möchte oder einfach neugierig geworden ist, findet in Berlin Abhilfe. Das Restaurant Mikrokosmos, Reichenberger Str. 122 in Kreuzberg, wurde im Winter 2022 eröffnet und bietet verschiedenste Speisen mit und ohne Insekten an.
Dort gibt es Hauptspeisen wie geröstete Karotten, mit Dill-Sour-Cream, Pesto aus Karottengrün, Blaubeeren, schwarze Tahina und dazu Mehlwürmer im Karotten-Honig-Mantel oder als Dessert French Toast mit Birnen-Kompott und Butter-Vanille-Zabaione mit entweder karamellisierten Buffalowürmern oder Schoko-Mehlwürmern.
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