macht-Miss-Brauch-t-Mich
Julie Bäßler beschäftigt sich mit dem lächerlich-alltäglichen Machtkampf in der Business Welt. Durch ein leider vielleicht nicht ganz fiktives Gedankenspiel erscheint diese Realität plötzlich ganz nah und bedrohlich.
Julie Bäßler
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Foto: Julie Bäßler
Spieglein, Spieglein in meiner Hand, wer ist der Tollste im ganzen Land…
Kleiner Mann, viel zu großes Ego – dieses Bild offenbart sich einem, verirrt man sich, während des wöchentlichen Kaffeekränzchens der Chefetagen, in die Französische Straße 47.
Würde Benjamin von Stuckrad-Barres jüngster Roman „Noch Wach?“ rein hypothetisch auf wahren Ereignissen beruhen, wäre das Borchardt sicherlich die Hauptzentrale der dunklen Triade, bestehend aus dem Chef, dem Chefredakteur des „Brüll-Senders“ und dessen imaginären Freundes namens Narziss.
Zwischen, von Narzissmus triefenden, leeren Worten würde man im Kreis sitzen und um die Wette in kleine Schminkspiegel starren, bis der Erste tot umfällt.
In gesundem Ausmaß sind Narzissmus und Machiavellismus keine schlechten Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit, aber in extremer Form wird aus dem charismatischen Vorgesetzten der Teufel höchst persönlich.
Das also war des Pudels Kern!
Wer dem gefallenen Engel gegenübersteht, und auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand hat, nimmt Reißaus. Blöd nur, wenn Mephisto nicht in Form des rotfratzigen Höllenwurms, sondern getarnt als bebrillter, hemdentragender Sunnyboy in die Rolle deines Chefs schlüpft.
Ihr versteht euch gut, er hört dir zu, gibt dir Ratschläge, verspricht dir, sich intern für dich starkzumachen. Wie sollst du, als schwache und zerbrechliche Frau, auch ohne ihn die Karriereleiter erklimmen? Was du jedoch nicht weißt, die Leiter ist nicht der „Stairway to Heaven“, sondern führt auf erschreckend kurzem Weg nach Hades.
Es wird getuschelt, die Gerüchteküche brodelt: Was läuft da zwischen dir und dem Chef, wenn ihr private Meetings hinter geschlossenen Türen abhaltet?
Du kennst die Geschichten über ihn. Seine fragwürdige Weltanschauung und das leicht verschobene Frauenbild, aber bei dir ist das anders. Bei dir ist ER anders.
Dramaturgischer Wendepunkt, als er beginnt nächtliche Nachrichten zu schreiben, ob du nicht ins Büro kommen könntest.
Moralisches Dilemma. Einen, leider viel zu mächtigen, Giftzwerg abweisen, oder gute Miene zum bösen Spiel? Beide Optionen – salopp ausgedrückt – ziemlich beschissen.
Es kommt, wie es kommen muss. Aus Ablehnung wird Abneigung. Aus „Liebe“ wird Hass. Dein Name wandert von der Beförderungs- auf die Abschussliste.
Von den Kolleg*innen ein etwas zu selbstgerechtes: „Ich habe es dir ja gesagt. Selbst schuld.“
Der Versuch, das absolut inakzeptable Ausnutzen der Machtverhältnisse, dem Vorstand zu melden, wird als verzweifelter Akt der Rache gewertet. Da stehst du nun: ausgenutzt, weggeworfen, verspottet und ohne Job.
Möge die Macht (bitte nicht) mit dir sein
Ob das, was nach einer sehr dystopisch anmutenden Welt klingt, entsprungen aus der Feder einer feministisch angehauchten Männerhasserin, wirklich nur Fantasie ist, hängt ganz davon ab, wen man fragt.
Wer einmal in den Genuss der, mit Suchtfaktor 10 bewerteten, Droge „Macht“ kommt, will immer mehr. Beherrschen, statt beherrscht zu werden. Dominieren, statt dominiert zu werden. Dieses Kindergartentheater findet sich nicht nur im vorpupertären Penisvergleich von Grundschülern, sondern auch in den Chefetagen der mächtigsten Unternehmen der Welt wieder. Die Träume des beruflichen Erfolgs junger Mitarbeiter*innen werden ausgenutzt. Wer mitspielt, wird belohnt und wer das, in vielen Unternehmen herrschende, Klima des Schreckens anspricht, wird mundtot gemacht und entsorgt. Betroffene müssen erst einmal die Glaubwürdigkeit ihrer Erfahrungen beweisen, damit den Tätern am Ende – dramatische Pause – rein gar nichts passiert.
In einem derart lächerlichen Hahnenkampf lässt sich nur hoffen, dass man mehr Vitamin B als Vitamin D getankt hat, um gar nicht erst in die unangenehme Situation kommt, am unteren Ende der Hackordnung zu sein, und stattdessen direkt zum Chefgockel ernannt wird.
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